Ungarn | Hungary - Part 2

posted by PP on 2005/02/11 19:40

[ Ungarn | Hungary ]

Was sich seit einigen Tagen schon angekündigt hatte, wurde nun offiziell ins Internet gestellt. Das Budapester "Policy Research and Consulting Institute" Political Capital hat eine Liste mit 19 Namen ins Internet gestellt, die Spitzel des früheren ungarischen Geheimdienstes III/III gewesen sein sollen bzw. nachweislich waren.
 

In deutscher Sprache finden sich Vorbericht und die heutige Meldung etwa im Standard, auf Ungarisch in der Népszabadság, die natuürlich ebenfalls vorab berichtete und heute nähere Details brachte.

Es handelt sich ausschließlich um Personen, die ihre Mitarbeit längst offengelegt haben, teilweise schon verstorben sind, wie etwa Mátyas Esterházy, teilweise im Politikbetrieb stehen - wie der unerträgliche Rechtsradikale und Antisemit István Csurka, zu dem einem immer nur landwirtschaftliche Nutztiere einfallen -, oder die politische Öffentlichkeit hinter sich gelassen haben; wie etwa der frühere Premier Péter Medgyessy, der jedoch nicht wegen dieser Tätigkeiten zurücktrat, sondern vielmehr einem koalitionsinternen Gerangel mit dem SZDSZ zum Opfer fiel, aus dem schließlich als neuer MSZP-Star Ferenc Gyurcsány, der jetzige Ministerpräsident, hervorging. Oder der Finanzminister der früheren rechten FIDESZ-Regierung, Zsigmond Járai.

Hinzu kommen Musiker, Fußballer, Übersetzer und Journalisten, Diplomaten. Insgesamt ist diese Liste an sich noch keine Sensation, das war im Wesentlichen bekannt, geht quer durch alle politischen Lager. Wesentlich spannender ist die noch nicht veröffentlichte Liste mit 97 weiteren Personen. Diese dürfte, so der Direktor von Political Capital, Krisztián Szabados, aus Datenschutzgründen noch nicht veröffentlicht werden.

http://www.kakanien.ac.at/static/files/30619/lista.gif


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01 by peter at 2005/02/12 23:09 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten
Diese Liste war auch bis jetzt öffentlich und bekannt, sie ist somit keine Sensation. Es handelt sich auch nicht um aussschließlich AgentInnen der engsten MitarbeiterInnen der Abteilung III/III (in etwa vergleichbar mit der Stasi), sondern auch um Agenten der Auslandsspionage der ehemaligen Volksrepublik Ungarn. Diese werden von der ungarischen Gesetzeslage eben nicht als Kollaborateure und Spitzel ersten Ranges eingestuft. Das mag ein Problem sein, auch der ehemalige Ministerpräsident Medgyessy gehörte "nur" zu dieser Kategorie - ähnliche Verdachtsmomente zeigen sich zur Zeit gegen den konservativen FIDESZ-Bürgermeister der Stadt Kaposvár in Südungarn. Alles in allem zeigen aber die jüngsten (größtenteils zivilen) Initiativen auf diesem Sektor, dass die ungarische Gesellschaft über kurz oder lang eine Klärung der Vergangenheit wünscht - zumindest Teile. Seit Jahren werden immer Gesetzesnovelierungen angekündigt, aber nichts geschieht. Unmittelbar nach der Wende hätte eine Gesetzesinitiative der damaligen SZDSZ-Abgeordneten Péter Hack und Gábor Demszky im Sinne der deutschen Gesetzesregulierung wahrscheinlich eine weitgehende Klärung der Problematik gebracht (und die Sache wäre heute längst ad acta). Damals haben die Abgeordneten der ex-kommunistischen MSZP und der konservativen MDF diesen Antrag zu Fall gebracht.

Umfassend durchleuchtet wurden übrigens in Ungarn die Seelsorger der christlichen und jüdischen Religionsgemeinschaften noch nie, dies wurde auch von Angehörigen dieser Kirchen, die damals in oppositionellen Gruppierungen (z.B. Wehrdienstverweigerer) aktiv waren oder diese unterstützten, z.B. György Bulányi, des öfteren bemängelt.

Grüße aus Budapest, in Erwartung, dass einfach eine komplette Liste einmal da ist und dies rechtlich als einwandfrei genehmigt wird und die Sache endlich Teil unseres kulturellen Gedächtnisses werden kann, dazu ist aber die umfassende Freigebung aller Daten vonnöten.

Amália und Béla

Senior Editor

Seitenwechsel. Geschichten vom Fußball. Hgg. v. Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bohmann 2008, 237 pp.
(Weitere Informationen hier)
Transcarpathica. Germanistisches Jahrbuch Rumänien 3-4/2004-2005. Hgg. v. Andrei Corbea-Hoisie u. Alexander Rubel. Bukarest/Bucuresti: Editura Paideia 2008, 336 pp.
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Seitenweise. Was das Buch ist. Hgg. v. Thomas Eder, Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bundespressedienst 2010, 480 pp.
(Weitere Informationen hier wie da, v.a. auch do. - und die Rezension von Ursula Reber findet sich hier [.pdf].)
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